Turbulente Tage

 

Sollte es einem von euch langweilig sein, habe ich einen zu 100 Prozent funktionierenden Rat:

„Holt euch einen Welpen ins Haus!“

 

Wie? Das packt ihr lässig? 

Okay, dann habe ich für euch die Premium Version „Verschärfter Langeweile-Killer“ im Angebot: Ihr holt euch 6, bzw. 5 Jahre zuvor zuerst einmal zwei Maine Coon ins Haus. 

 

Seid sicher:

Mit Langeweile ist es dann, ab dem Welpen-Einzug, wirklich absolut verlässlich vorbei.

 

Unsere Tage und Nächte sind seit Baldurs Ankunft gefüllt mit Liebe für den kleinen Welpen. Mit Sorge um seine Verdauung. Mit ungeahnter Freude über ein schön geformtes und farblich stimmiges Kackwürstchen. Mit Apnoe-ähnlichem Anhalten des Atems, sobald Baldur aufgeregt bellend hinter den Katzen herjagt, weil sie einfach nicht verstehen wollen, dass er doch nur spielen möchte. Mit Boden aufwischen, weil in der Aufregung der Katzenjagd mal wieder ein Pfützchen im Wohnzimmer landete (meine Böden waren übrigens nie sauberer). Mit permanentem Eincremen, der vom vielen Putzen wund gewordenen Hände (wer einen Tipp braucht: Heiko hat mir ein Pröbchen geschenkt, ein Handbalsam, der wahre Wunder wirkt). Mit Freude über das, was Baldur schon gelernt hat. Mit Ernüchterung, was er alles am nächsten Tag wieder vergessen hat und erneuter Freude, weil er sich dann doch wieder erinnert. Mit Sorge um das Wohl der Katzen, da die eine sich mittlerweile vollkommen ins Arbeitszimmer zurückgezogen hat und sich nicht mehr heraustraut und die andere mutig und neugierig den Kontakt zu Baldur sucht, gegenüber ihrer schüchternen Kollegin aber spürbar aggressiver als sonst auftritt. 

 

Mit einem stetig wachsenden Schlafdefizit, einem ungeregelten Wasch- und Zähneputz-Rhythmus. Hey, was war nochmal Schminken? Mit neuen Schlafgewohnheiten: Nie ohne Jogginghose und Sweatshirt ins Bett und beim ersten Geräusch an der Terrassentür stehen, Leine, Jacke und Hund schnappen, aufpassen, dass Katze nicht die Chance zur Flucht in den Garten nutzt, freundlich Pipi sagen, Hund loben, weil er es macht, schnell wieder ins Warme und zurück ins kuschelige Bett. 

 

„Leider kann ich tagsüber nicht schlafen“, diese Aussage galt bis vor Kurzem für mein gesamtes Leben. Jetzt falle ich plötzlich mitten im Gespräch oder beim Fernsehen auf dem Sofa um und lande umgehend im Tiefschlaf. Und dennoch: mir fehlt Schlaf, denn meine Gedanken kreisen permanent um das Wohl aller, die hier mit mir leben. Ich schlummere in der Nacht in einem ultraleichten, wenig erholsamen und immer wieder unterbrochenen Schlaf, die Ohren immer auf Alarm geschaltet. Ich sorge mich um alle, aber am wenigsten um mich selbst. 

 

Und es kommt, wie es kommen muss: Ich vernachlässige zu essen und vor allem zu trinken, ich schlafe wenig, ich vergesse meine Medikamente zu nehmen, versuche viel zu viele Erwartungen, überwiegend meine eigenen, zu erfüllen und werde immer angespannter. Wenn was nicht klappt, habe ich kaum noch Reserven dringend erforderlicher Frusttoleranz. Mein immer halbvolles Glas sieht auf einmal andauernd halb leer aus. Verkehrte Welt. Verkehrte Tati. Was ist bloß los mit mir? 

In dieser sich unmerklich schneller drehenden Abwärtsspirale habe ich plötzlich einen unerwarteten Tiefpunkt und finde mich heulend auf dem Esszimmerboden sitzend und eine Pipilache wegputzend wieder, die schon gar nicht mehr da ist. Aber ich reibe weiter und heule. Etwa eine Stunde lang. Dann schaffte es Heiko mich, immer noch heulend, ins Bett zu bringen. 

 

Aber es kam noch schlimmer: 2 Tage später fühlte ich mich völlig als Versager, dachte ich werde keinem mehr gerecht, weder Baldur, noch den Katzen, noch Heiko, noch mir. Da ich keinen Ausweg mehr sah, war mein einziger Gedanke, ich war zu egoistisch und habe mit meinem innigen Wunsch nach einem Hund hier das völlige Chaos ausgelöst. 

 

Ich war nicht mehr imstande, die schönen Entwicklungen zu sehen, das Tolle, das jeden Tag passierte. Für mich gab es plötzlich kein Licht mehr am Horizont. Es war stockdunkel.

 

Einziger Gedanke: Ich hatte dieses Chaos ausgelöst, ich musste es beenden. 

 

Das war der Moment in dem ich bereit war, Baldur wieder gehen zu lassen. 

 

Gott sei Dank hatte ich aber noch das Fangnetz meiner Züchter und das nutzte ich. 

Natürlich löste ich bei ihnen mit meinem Ansinnen, Baldur zurückzugeben, einen gehörigen Schrecken aus. Dank gutem Zureden, Verständnis und Einfühlungsvermögen gelang es ihnen, mich zum Durchatmen zu bringen, zum Innehalten. Trotzdem liefen mir die Tränen über das Gesicht. Aber die Abwärtsspirale verlangsamte sich und je länger das Gespräch verlief, desto trauriger wurde ich zwar, aber dennoch stand plötzlich alles ganz still. 

„Rede nochmal mit Heiko, schlaf eine Nacht drüber und wir reden morgen“, sagte Karin zur Verabschiedung. 

Eine Viertelstunde später hatte ich mit Heiko gesprochen und es war klar: Wir geben nicht auf. Wir setzen uns 4 Wochen, um einen echten Fortschritt zu erreichen. Ich schrieb es sofort an Manu und Karin.

Ja, und seitdem haben Heiko und ich einen klaren Plan geschmiedet, welche Punkte für uns Priorität bei der Erziehung haben und in welcher Form wir sie gemeinsam angehen wollen.

 

Einmal durchatmen, Reset und einen Neustart machen. 

 

Das war letzte Woche und es geht seither jeden Tag besser. Ich mache immer noch die Nachtschichten, da Heiko arbeiten muss. Aber Heiko übernimmt morgens die erste Runde mit Hund und Katzen füttern und einmal mit Baldur raus, während ich noch etwas länger schlafen kann. 

Solange Heiko arbeitet übernehme ich wieder komplett. Mittagessen machen wir gemeinsam oder abwechselnd. Wenn etwas eskaliert, reagiert der, der näher am Geschehen ist und zwar genau so, wie wir es abgesprochen haben. 

Wir korrigieren uns gegenseitig, wenn einer mal etwas vergessen hat oder nicht konsequent war. Neue Themen besprechen wir sofort und legen fest, wie wir vorgehen. 

Wir geben uns Sicherheit und damit auch den Tieren. Wir sind klarer für die Tiere und können uns blind aufeinander verlassen. Wir unterstützen uns unaufgefordert und haben dennoch mehr Zeit für uns selbst. Wir haben ein Stück Normalität zurückgewonnen und können gelassener mit den Dingen umgehen. 

Und wir werden alle jeden Tag besser!

Baldur ist zwischenzeitlich bis auf wenige Ausnahmen stubenrein, die Frequenz der Pipi-Runden dezimiert sich langsam. Er lernt viel und schnell. Er ist entspannt, neugierig und immer zu Blödsinn aufgelegt. Sunny und Baldur begegnen sich Nase an Nase oder stehen schon mal direkt nebeneinander, haben zwar noch ihre wilden Jagden, aber spielerischer und weniger bedrohlich. Wir machen großartige Fortschritte und die Situation der letzten Woche erscheint mir mittlerweile völlig unwirklich und wie ein schlechter Traum.

 

Warum erzähle ich euch das so offen? Weil meistens nur die lustigen und schönen Geschichten erzählt werden, die schwierigen oder traurigen Dinge aber konsequent unter das Siegel der Verschwiegenheit fallen. Jedoch: Sie sind da. 

Und vielleicht schlittert ihr selber mal in eine Situation, in der ihr euch plötzlich verfangen habt und selbst nicht mehr rausfindet. 

 

Eines habe ich gelernt: Es ist etwas völlig anderes, eine stressige Situation im Arbeitsalltag zu managen, als eine im innersten Familienkreis, mit Menschen und Tieren, die man liebt. 

 

Was mir geholfen hat, waren Freunde, die eine Ahnung von der Situation hatten, in der ich mich momentan befand, die nicht urteilten, sondern zuhörten und mir halfen mich zur Ruhe und damit zum Durchatmen zu bringen. 

 

Ich möchte euch Mut machen authentisch zu sein und offen mit allen Ängsten, der Mutlosigkeit, den zu hohen Erwartungen an sich selbst und letztlich völliger Ratlosigkeit Hilfe zu suchen. 

Freunde haben in solchen Situationen oft eine klarere Sicht auf die Dinge. 

Der Mut, sich anderen anzuvertrauen lohnt sich.  Ängste, sorgenvolle Gedanken, das Gefühl der Überforderung oder Hilflosigkeit kennt jeder aus eigener Erfahrung, so unterschiedlich sie auch in ihrer Ausprägung sein werden. 

Am Ende bekommt man meistens als Geschenk Verständnis und eine Korrektur der eigenen Sicht. Die man allerdings auch zulassen muss, um dann wieder mit neuen Impulsen durchstarten zu können. 

Und idealerweise hat man einen Partner an der Seite, der mit einem gemeinsam durch diese Situation geht, Lösungen sucht und einem das Gefühl gibt: du bist nicht allein, das ist unser Thema.

 

Danke an alle!

 

Habt’s schön, ihr Lieben!

 

Verschlafene Gesellschaft mitten am Tag.

Tati ist auf dem Sofa umgekippt und Sunny liegt träumend neben ihr. Baldur schlummert an der Terrassentür.

 

Baldur ist jetzt 3 Monate alt und wiegt 7,9 Kilogramm.

Bild 1: An der Terrassentür liegt er besonders gerne. Man beachte die elegante Fuß- und Pfotenhaltung.

Bild 2 + 3: Noch ist sein Schlafplatz etwas zu groß für ihn. Sein Knister-lama ist aber immer dabei.

Bild 4: Autofahren ist für ihn null problemo. Gut gesichert mit rotem Sicherheitsgurt auf der Rückbank.

Bild 5+6: In der Küche während Frauchen Brot backt

Bild 7: Seit gestern kann das linke Ohr wieder stehen :-)

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Kommentare: 4
  • #1

    Tina Ulbrich (Mittwoch, 17 März 2021 22:30)

    Liebe Tati, ich hätte mir das nie vorstellen können das es dir so geht bzw. das du einmal auf der andere seite sitz und Hilfe brauchst. Du bist jemand der immer zuhört, hilft und einem einen Weg zeigst. ich freue mich für dich das du Menschen um dich hast die für dich da sind in solch einer Situation und es ist gut das du das auch an nimmst. Ich glaube und ich höre raus das alles seinen guten Weg nimmt und ihr auch bald wieder etwas ruhige Zeiten bekommt. Zusammen schafft ihr das! LG Tina

  • #2

    Karin (Mittwoch, 17 März 2021 22:42)

    Liebe Tatjana
    Ich habe unglaublich Respekt davor dass du so offen bist.
    Es ist wie du sagst, es kann nicht immer alles rosig sein, alle Situationen gehören dazu auch die eher negativen
    Man schöpft auch aus negativen Momenten. Nicht nur man selbst sondern auch die die sich noch unsicher in ihrem Handeln sind.
    Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass ihr das meistern werdet und in ein paar Monaten mächtig stolz auf euch sein werdet.
    Wir sind es jetzt schon!!!
    Ganz liebe Grüße, bleibt am Ball

    Karin und Niki

  • #3

    Miri (Donnerstag, 18 März 2021 09:15)

    Liebe Tati,
    ich finde es toll wie Offen Du hier berichtest.
    Wir haben solche ähnliche Erfahrungen gemacht während wir Bobby hatten. Es ist wahrscheinlich auch nicht die letzte Krise oder harte Situation, die auf euch zukommt aber ich höre raus, dass ihr gemeinsam einen tollen Weg gefunden habt und ich bin sicher, dass ihr das auch weiterhin super gut meistern werdet.
    Du weißt, dass Du jederzeit Dich auch an mich wenden kannst.
    Miri

  • #4

    Tati (Mittwoch, 24 März 2021 19:10)

    Danke für eure schönen Kommentare. Danke auch an alle, die mich direkt angeschrieben oder angerufen haben.
    Heute kann ich sagen, dass es richtig war, mit etlichen Dingen konsequent weiterzumachen, einige Dinge konsequent zu ändern und unser Repertoire zu ergänzen. Es hat sich ausgezahlt und wir haben eine insgesamt sehr gute Situation erreicht, wenngleich es nach wie vor auch mal ein unerwartetes Tief gibt, das uns aber nicht mehr beirrt, weil es eben dazu gehört, das es auch schlechte oder schwierige Tage gibt. Das macht uns nicht mehr nervös. Meistens sind es eh nur Phasen am Tag. Und wenn man weiß, dass das völlig normal ist und viele von euch das nur allzu gut aus eigener Erfahrung kennen, ist einem schon leichter ums Herz. Danke euch allen. Ich kann auf euch zählen! Das tut sehr gut.